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👩‍🍳Tulus Lotrek*, 2.5.24, Berlin Kreuzberg

Autorenbild: Charlotte TinaCharlotte Tina

Aktualisiert: 12. Feb.

Teufel auch! Schon wieder besonders essen!


Im Gespräch mit einer Nachbarin wurde mir die Fragilität unseres Lebens mal wieder sehr bewusst, da musste schnell etwas her, um einen bacchantischen Paukenschlag zu setzen.


In Birgit fand sich sofort eine begeisterte Mitstreiterin für eine zeitnahe Reservierung, nachdem sie Rezensionen (->das ist sprachlich und inhaltlich schon sehr elaboriert) und die Menükarte des mit einem Michelin Stern ausgezeichneten Tulus Lotrek angeschaut hatte, das recht weit oben auf meiner Liste stand.

Die Bewertungen sind überschwänglich, das ließ hoffen. Vielfach las ich, dass der Koch und Inhaber Max Strohe eigentlich zwei Sterne verdient habe, entsprechend gespannt und voller Vorfreude war ich auf das Restaurant.


In der ruhigen Fichtestraße gelegen, mit romantisch bewachsener Fassade, lud es mit weichem Licht aus den glänzend sauberen Schaufensterscheiben zum Eintreten.

Das Wetter war jedoch sommerlich mild, also nahmen wir auf der kleinen, durch eine Hecke geschützten Terrasse an der Straße mit acht Tischen Platz, die sich rasch füllte.


Ilona Scholl, Mitbesitzerin, beriet uns bestens und warmherzig zu je einem Glas Wein, wofür wir eine Weile und etliche Probeschlückchen aus bestimmt sechs Flaschen benötigten.

Dieser herzliche, kommunikative und sehr aufmerksame, dabei unaufgeregte Service begleitete uns den ganzen Abend.


Als Einstimmungen aus der Küche kam eine recht pikante kühle Brühe aus Gurke, Tomate, Erbse, Yuzu, Jalapeño. Sehr nett.

Eins der ersten Highlights des Abends war ein kleines knuspriges Tartelett, gefüllt mit frischen Erbsen, einer samtigen Emulsion (Geschmack und Konsistenz wie eine köstliche frische Mayonnaise, aber nicht so unangenehm fettig) und für mich mit sehr dünner, sehr knuspriger, sehr köstlicher Hühnerhaut.

Je weiter man vordrang bzw. je länger man es im Mund hatte, desto intensiver und wunderbarer entfalteten und vereinten sich die Aromen und Konsistenzen. Einfach toll.


Zum Einstieg in das Menü kam Post aus der Küche, ein Briefumschlag mit der Menüfolge, und als erster Gang für mich pochierte Auster (lecker) mit fettem Thunfisch (der geschmacklich aber leider unterging), für Birgit eine exzellente Brühe aus Tomaten, Basilikum, Piment d‘Espelette, und mit zartrosanen Meringuestäbchen.


Der folgende Gang enttäuschte uns jeweils beide. Mein Hechtkloss litt unter zu viel Gelatine, von Taschenkrebssalat konnte keine Rede sein, Pistazie fand ich auch nicht. Das war eine Brühe mit Einlagen; schmackhaft, geprägt von den immer wieder auftauchenden und für meinen Geschmack viel zu präsenten, oftmals beherrschenden Zitrusaromen, aber nicht besonders lecker und Krebs habe ich nicht gesehen.

Birgits Teller wartete mit verkohltem Lauch auf, das war deutlich zu viel auch nach Entfernen der äußeren Schicht, und einer pampigen Zwiebelcreme mit norwegischem Käse (nicht der entsetzliche braune, süße Gjetost-wer schon mal in Norwegen war, weiß wovon hier die Rede ist).


Der Chicorée mit Ahornsirup und gepopptem Quinoa gefiel Birgit sehr, ich haderte mit der aufgeschlagenen Hollandaise mit Gochujang (der koreanischen Chilipaste), die die lediglich glasig gegarte Garnele, sehr körnigen Reis und Sesam bedeckte.

Ich koche ja ab und an koreanisch und empfand die Kombination, abgesehen von den Texturen, als befremdlich.


Der Saison entsprechend kam als Süppchen Beelitzer Spargel ins Spiel, mit Algen-/Kaviar, auf exquisitem, luftigem Chiwanmushi (Eierstich), mit Kerbel und Holunder.

Das war sehr gut, der heimliche Star allerdings war eine köstlich dicke Scheibe butterfettfingriger, knusprig gerösteter, warmer Brioche dazu, wenngleich die Süße nicht wirklich zur Suppe passte. Aber extra.


Als Nächstes sollte Bries folgen, das ich Zeit meines Lebens für Hirn gehalten habe, welches aber die Thymusdrüse aus dem Brustkorb ist.


So oder so, nichts für mich (entspricht meiner persönlichen Rubrik Affenhirn), ich wählte als Alternative den Signature Dish, die Jakobsmuschel.

Die mich sehr enttäuschte. Wiederum nur glasig gebraten, war der erste Eindruck im Mund das Yuzu-Gelee und der Gedanke, nicht schon wieder!

Und nachdem ich in Marseille erstmals Seeigel hatte, der aber kaum Geschmack vorweisen konnte, und in Japan diesbezüglich nirgends fündig geworden war, habe ich mich auf den angekündigten Anteil in diesem Gericht gefreut.

Er war aber nicht identifizierbar sondern in der Sauce verarbeitet (oder er ist bei der Zubereitung winkend daran vorbei geschwommen).


Netterweise wurde das Gericht später (ebenso wie Birgits Lauch) von der Rechnung genommen.


Birgit war gleich erneut glücklich mit gebackener gelber Bete und Meerrettich-Beurre Blanc, was auch alles wirklich gut war, der sehr schön würzig-intensive Kren wieherte noch und gab den benötigten Kontrast zur zarten Bete.


Es ging weiter mit rosig gebratenem Bock mit Bier und einem super leckeren gefüllten Knusperklösschen (was auch immer das im Detail alles war), alles gut.


Die Sensation war aber erneut auf Birgits Teller zu finden: Wirsing, Kartoffelgratin, Cranberries und überall darauf, darin, dazwischen ein geschmolzener Käse, Fourme d‘Ambert. Absolut köstlich! Eine wunderbare Geschmacks- und Geruchsexplosion, Highlight No.2 des Abends. Würzig, cremig, befriedigend.


An dieser Stelle baten wir darum, dass Tempo etwas anzuziehen, wir saßen schon 3,5 Stunden, es sollten dann vier werden.

Um uns herum war derweil sich steigernde Heiterkeit zu spüren; die meisten anderen Gäste hatten die Weinbegleitung gewählt, die sieben Gläser beinhaltet. Ich würde auf halber Strecke ins Koma fallen 🙈😂


Den Erläuterungen des Sommeliers an den Nachbartischen zuzuhören war aber ein Spaß und sehr interessant. Habt Ihr einen Weißwein schon mal als „karamellig-speckig“ beschrieben bekommen?

Und wusstet Ihr, dass in manchen Weinbergen verschiedene Trauben auf einer Lage angebaut werden? Also quasi eine Cuvée schon im Weinberg, nur dass alle Trauben zur gleichen Zeit geerntet werden? Das heißt „gemischter Satz“. Spannend, war mir neu.


Highlight Nummer drei war das erste Dessert, ein Eis aus Ziegenjoghurt mit Himbeersauce mit Estragon (den man kaum wahrnahm), zarten Meringue-Blättern, mit einem Hauch Zitronenmelisse (die mit ihrem leicht seifigen Charakter für mich nicht unbedingt hätte sein müssen).

Das war super, großes Tennis.


Danach wurde uns eine weitere sehr gute Kugel Eis vorgesetzt, mit Pinien(?)-Krokant, leicht salzig und etwas Öl (hab nicht aufgepasst, glaube aber, sehr milde Olive).

Dazu ein Espresso/Macchiato.


Zwei letzte Grüße aus der Küche:

Physalis mit Algen-/Kaviar (interessant) und eine Praline aus Fruchtgelee.


Mein Fazit: knifflig. Toller Service, sehr starke Kundenorientierung, drei besonders hervorragende Gerichte, schöne Atmosphäre, viele tolle Details, sehr kreativ (es muss mir nicht alles gefallen, aber ich sehe schon, wo besondere Ideen umgesetzt werden), alles war sehr gefällig angerichtet.

Der Umgang mit Kritik war exakt so, wie ich es mir immer wünschen würde.


Was mir nicht so gefiel: dass fast alles nur zimmerwarm war, dass

vieles, was auf der Karte stand, nicht zu finden und/oder zu schmecken war, dass die (für mein Empfinden) teilweise extremen zitrischen Komponenten zu häufig verwendet wurden (meine Neugier auf Yuzu ist jedenfalls gestillt), dass zarte Aromen oft erschlagen wurden von anderen Zutaten.


Wir fanden beide das vegetarische Menü sehr viel ansprechender als das omnivore-gustatorisch, texturell und optisch.


Es war ein schöner Abend und hat Spaß gemacht!


Nun ist mein Wunsch, mal ins Rutz zu gehen, noch größer. Das ist das einzige ***-Restaurant in Berlin und ich wüsste zu gerne, wo/wie sich die Unterschiede manifestieren.




Übrigens: ein Like, um vielfach vorhandene Bedenken zu zerstreuen, ist anonym (natürlich nur, wenn es gefiel) 😉 Über Kommentare freue ich mich sehr



5 Comments

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Guest
May 16, 2024
Rated 5 out of 5 stars.

Wunderbar wie du alles beschrieben hast liebe Tina 😍und traumhaft schöne Bilder 😋😋😀liebe Grüße Dagmar ❤️

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Guest
May 06, 2024
Rated 5 out of 5 stars.

Liebe Tina! Ich gehe davon aus, dass ich die Nachbarin bin... Ich liebe Deinen Schreibstil, auch wenn ich kein so großer Foodie bin wie Du! Bis bald in Berlin! Kirsten

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Charlotte Tina
Charlotte Tina
May 06, 2024
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Ha ha, ja, Du bist es und die Geschichte ist so traurig, geht mir nicht aus dem Kopf. Liebsten Dank für das tolle Kompliment!!! Bis bald👋

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Guest
May 04, 2024
Rated 5 out of 5 stars.

Liebe Tina, wie immer super geschrieben, mir lief bei den Highlights ein zweites Mal das Wasser im Mund zusammen. Herzlichen Dank Deine Birgit

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Guest
May 03, 2024
Rated 5 out of 5 stars.

Sehr anschauliche Rezension. Macht Spaß zu lesen.

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