Tag 36
Schweren Herzens nahm ich nach einem schönen Frühstück Abschied von der Villa in Aurich und fuhr in die Niederlande. Erst wollte ich nach Amsterdam, merkte aber schnell, dass der Gedanke an Stadt mich unfroh machte und ich da eigentlich nur hin „wollte“, weil das möglicherweise anderer Menschen Erwartung entspräche (Oooh, Amsterdam, toll! Das kannst Du doch nicht auslassen, wenn Du da bist, so eine schöne Stadt!). Ja, die Stadt ist schön, ich war schon 2x dort, aber ich will Natur und Ruhe bzw. natürliche Geräusche. Also bin ich kurzerhand nördlich von Amsterdam gefahren und habe mir direkt hinter der Düne einen Campingplatz gesucht (23€).
Ich lief ans und fast direkt ins Meer, es war herrlich mit den Wellen, dem feinen Sand, dem Wind. Aber auch recht voll. Nach dem Check-in bin ich noch mal rein.
Im Sanitärgebäude lernte ich Nicole aus Waldorf bei Heidelberg (SAP-City) kennen (merke: unterschätze nie die Sozialfunktion von Toiletten). Wir verabredeten uns für später auf einen Wein.
Dabei lernte ich dann ihren nicht minder netten Mann Tom kennen, den 20 Jahre alten, unglaublich niedlichen, fast blinden und inkontinenten Sparky (Hund) und seinen Kumpel Boomer, der mich immer wieder zerfleischen wollte, davon Abstand nahm, als er etwas Käse und Leckerlis von mir bekam; danach wollte er mich wieder zerfleischen. Hunde sind eben auch nur Menschen.
Tag 37
Morgens machte ich einen einstündigen Spaziergang am um diese Zeit fast menschenleeren Strand. Meine Hüfte streikte leider, ich wäre gern stundenlang weiter gelaufen auf dem festen Sand, den die Ebbe zurückließ. Ich stieß auf eine grotesk große Qualle (zum Größenvergleich meine Sandalen Gr. 41 im Bild).
Auf einer Bank machte ich die Bekanntschaft des 68jährigen Niederländers Hans und seiner Berner Sennhündin Senna.

Er hat seit 35 Jahren einen Dauerplatz, das kostet im Jahr dort 2.200€. Wir unterhielten uns und er lud mich auf einen Kaffee ein. Da ich noch eine Stunde hatte, neugierig war, er einsam zu sein schien und ich noch keinen Kaffee gehabt hatte, nahm ich gern an. Er hat es da schon irgendwie ganz schön, aber das wäre absolut nicht meine Welt, auch wenn er mir Avancen machte und deutlich betonte, dass seine künftige Partnerin natürlich partizipieren würde an dieser seiner Oase….
Ich verabschiedete mich von Nicole (die übrigens Konditormeisterin ist und Grafikerin) und Tom (Orthopädietechniker), hoffe unbedingt, dass ich sie mal wiedersehe, und zockelte los zur Fähre. Viel (!) zu früh, aber ich war sehr aufgeregt, meine erste „richtige“ Fährfahrt allein und mit Auto. Wie mit vielen Dingen, die man zum ersten Mal macht, manchmal über Gebühr im Vorfeld aufregend.
Klappte alles sehr gut, war bestens ausgeschildert, viel Personal und das sehr nett und entspannt, die Kabine finde ich richtig kuschelig, auch, wenn ich das Bullauge nicht öffnen kann 😬
Dann leistete ich mir in der Bar auf Deck 10 (wie, Star Trek??? Wie Zehn Vorne, nur im Heck?) eine Tango. Wie Fanta, ohne Zucker, eiskalt. Es sind 20 Grad, aber die Sonne brezelt, dass es sich anfühlt wie 35 🥵 Das Schiff legt erst um 17:30 ab, es ist 15:00, also habe ich ein Buch dabei, meine FFP3-Maske (die ich drinnen trage, weil viele Menschen auf sehr engem Raum und isch schwöre, dass ich die einzige Person an Bord zu sein scheine, die das tut. Nachtrag: nachdem ich viel über das Schiff stromere, habe ich noch drei gesehen) und versuche mal, zu lesen.
Ach, und ich habe vorsichtshalber ein Scopoderm Pflaster hinter mein Ohr geklebt.
Das ist ein Mittel gegen Seekrankheit, das über die Haut aufgenommen wird. Ich war nur ein Mal im Leben seekrank, warum auch immer, auf dem Ausbildungs- und Prüfungstörn für den SKS. Abgesehen von der Kotzerei ist einem so schwindelig, dass man wirklich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, es war schrecklich, riiiiichtig schlimm. Das wünscht man niemandem. Obwohl. Ich bin ja nicht Mutter Theresa, Nora und Leopold können das gern mal ausgiebig erleben. Jedenfalls: das ist verschreibungspflichtig und effektiv. Empfehlung.
Wahnsinn!!!! Ich bin auf dem Weg nach Schottland und Irland, wie krass ist das denn?!?! Das fühlt sich jetzt aber schon sehr nach Abenteuer an.
Auf dem Deck setzte sich die Holländerin Anisha zu mir. Sie hat eine so unglaublich positive, schöne und farbenfrohe Ausstrahlung, dass ich sie um ein Foto bat und das auch veröffentlichen darf.
Da meine Erfahrungen mit Schiffsessen weniger als bescheiden sind, habe ich in dem Supermarkt, den ich natürlich abgrasen musste (wusstet Ihr, dass Bonne Maman nicht nur Konfitüren, sondern auch eine Nuss-Nugat-Creme herstellt? Ich nicht. Ich hab ein Glas in der Mitbringsel-Kiste. Wer das Glas anfragt über die Kommentarfunktion, der bekommt es. Bei Interesse von mehr als einer Person verlose ich es feierlich mit mir), Salat und Obst gekauft (na, wer hat nach dem Satz in der Klammer den Anschluss gefunden?).
An Bord gab es ein großes Angebot an Unterhaltung: Kino, Duty Free Shop (in dem ich einen Steckeradapter gekauft habe und die kleinst mögliche Toblerone), Spielautomaten, Bars, Live Musik, Kinderbespassung… ich hab das Schiff von unten bis oben abgegrast und mich dann mit einem 43er in die Abendsonne geflaggt. Wind, Wasser, toll.

Ich wurde schon ein paar Mal nach der Verständigung gefragt. Ich hatte noch nie ein Problem. Irgendeine gemeinsame Sprache oder Worte finden sich immer, Zeichensprache funktioniert auch zur Not. Mein Englisch? Good enough not to starve 😉
Tag 38
Am Dienstag legte die Fähre dann um 9:30 Ortszeit (10:30 kontinentale Zeit) an und es gab Passkontrollen, das dauerte ewig.
Den ersten Kreisverkehr habe ich überlebt, beim zweiten war es knapp, weil ich bei der Einfahrt nicht nach rechts geguckt habe. Ich fuhr nach Amble, einem netten kleinen Ort mit Hafen und Fischerei. Und wie es der Zufall so wollte, werden da Hummer aus Larven gezüchtet und im Restaurant daneben gab es einen ganzen fangfrischen Lobster für 48€ mit Pommes, Salat, zerlassener Knoblauchbutter und einem Wasser. Was soll ich sagen? War nicht verkehrt.
Aus den Larven werden gaaaanz kleine Hummerbabies, auf den Fotos in den weißen Behältern. Sie haben eine Länge von ca. 1,5-2cm. Anzuschauen war der gesamte Prozess bis 600g. Unter den zahlreichen Buden im Hafen war auch eine, die Softeis aus regionaler Milch verkaufte. Die kleinste Größe (selbstredend) wurde meins, mit einem Cadbury Flake drin.
Anschließend fuhr ich weiter nach Norden bis Dunbar, bekam einen Platz mit Blick aufs Meer und ging zum Strand. Ein sehr nettes älteres Paar aus Birmingham gab mir am Abend viele interessante Tipps für Schottland, hab ich alles fein säuberlich notiert.
Tag 39
Um 8:00 war ich auf der Straße, fuhr von der A1 ab, weil Haddington einfach nett klang und frühstückte einen geeisten Cappuccino auf dem Marktplatz. Beim Bäcker kaufte ich eine Chicken Pie (noch kochend heiß) und eine Strawberry Tarte für später. Köstlich, diese Pies haben sie einfach drauf. Knusprig außen, innen samtig cremig, der Deckel zartblättrig-buttrig.
Zum ersten Foto: ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die Kuh wirklich dort wohnt 🤔
Na ja und das Erdbeertörtchen flüsterte mir zu: „Nimm mich, ich bestehe doch fast nur aus Obst!“. Die Größe des Bildes verhält sich umgekehrt proportional zu meinem schlechten Gewissen. Was eigentlich albern ist, weil ich im Land meines Lieblings-Fastfoods bin und einfach nicht nein sagen kann zu so vielen Dingen.

Bei einer Tankstelle wollte ich eine Karte kaufen. „A map??? Nobody uses a map, they all use their phones“. Kopfkratzen, drei Angestellte und zwei Kunden überlegten, wo man etwas derart Exotisches auftreiben könnte. Also weiter mit Handy-Navigation. In St. Andrews blieb ich etwas länger, spazierte durch den hübschen und geschäftigen Ort, begleitet vom Schreien der Möwen. Ich trank meinen ersten Tee und hatte im Café leidlich Wifi, aber nicht gut genug. Ich sah Dinge, die ich eher ungewöhnlich fand, so einen offenen Waschsalon auf einer Tankstelle.

St. Andrews fand ich so nett, dass ich zwei Mal Parkscheine nachlöste für insgesamt über drei Stunden. Beim Friseur war ich auch, weil meine Haare durch die intensive Sonne im Norden stark gebleicht sind und trocken. Mir gefällts (33£=39,22€).
Das Städtchen kann ich für ein, zwei Tage entspannt in sehr schöner Atmosphäre sehr empfehlen. Es gab viele sehr hübsche kleine Läden mit lauter hübschen Dingen, die man unbedingt braucht, wenn man sie erst einmal gesehen hat. Tolle Bausubstanz, genau so, wie man sich England vorstellt.
Ich bin gespannt auf die Highlands, die einen ganz anderen Charakter haben sollen. Ich bin nun kurz vor Aberdeen, die Landschaft ist weit, leicht hügelig, spätsommerliche Gelbtöne der abgeernteten Getreidefelder dominieren das Bild. Die Fahrt durch Dundee fand ich enttäuschend. Das, was ich gesehen habe, war ganz schön runter gerockt. Hat bestimmt auch nette Ecken, die ich eben nicht gesehen habe.
Eigentümlich für mich ist, dass fast nirgends Gelegenheiten zum Anhalten geboten werden. Ich habe sooo viele schöne Motive verpasst, seufz. Aber auf den Schnellstraßen gibt es nur ab und zu unattraktive, kurze Haltebuchten und auf den Landstraßen ist meist auf beiden Seiten eine Hecke, niedrige Steinmauer oder ein Feld mit Gestrüpp davor. Bis man halten könnte, liegt das Motiv endlos hinter einem.
Da mein Navi zwar noch Deutsch spricht, aber alles in britischen Maßen angibt, habe ich mir (ALLE überholten mich, weil ich zu niedrig im Kopf umgerechnet habe) einen Zettel aufs Lenkrad geklebt mit den am häufigsten auftauchenden Angaben.

Nach einem Tag komme ich gut damit zurecht, dass hier 100% Geisterfahrer unterwegs sind (den kanntet Ihr noch nicht, hm? Ha ha!). Allein in Linkskurven denke ich ab und an panisch, gleich kracht einer frontal in mich rein. Wird sich in zwei Tagen auch gelegt haben.
In solchen Momenten klopfe ich mir innerlich auf die Schulter und sage mir, siehste, bist doch ne echt coole Socke. Und dann passiert mir natürlich sofort etwas unfassbar Ungeschicktes oder Peinliches und ich bin ganz flott wieder ich.
Die Nacht verbringe ich in einem Bed&Breakfast (94,59€), soweit ich mich erinnere, zum ersten Mal. Eigentlich wegen der Angabe, dass es Wifi gibt. Ha ha, eigentlich schon, nur heute nicht, eine Störung. Menno!
Sehr nett, wie ein privat geführtes kleines Hotel. Übernachtungen sind hier in Schottland bemerkenswert kostspielig, im Durchschnitt in der ländlichen Gegend um die 200€. Das ist hier eine Farm inmitten von Feldern, ich sitze schön draußen, die Gastgeberin Michelle umsorgt einen sehr nett und persönlich.
Hier noch der aktuelle Stand der Route:
Ich habe den Anbieter der App angeschrieben, weil keine Fahne für Schottland auftaucht. Sie dachten, Schottland ist England und hat die gleiche Flagge, wie auch Irland. Mal schauen, ob sie das anpassen, ich bin ja begeistert von der Darstellung. Leider gibt es auch in der Bezahlversion keine Fähre, also das Segelboot, ich nehme an, das hat sich der Großteil schon gedacht, segelt synonym für die Fähre.
Während ich da so saß und in mein Handy tippte, gesellte sich ein Ehepaar aus Kalifornien zu mir nach draußen. Anfangs tauschten wir den üblichen Reise-Smalltalk aus, als dann Bemerkungen kamen, ich solle nicht mal die Hälfte dessen glauben, was die Presse schreibt über die USA und Trump und es um Abtreibung und Waffen ging, bekamen wir uns ziemlich in die Haare. Sie sind dann irgendwann, noch höflich, aufgestanden. Es sollte ihrer Meinung nach keine strikteren Waffengesetze geben. Die vielen Toten gingen ja auf das Konto der Menschen, nicht der Waffen. Sturmgewehre seien nun auch nicht mehr so leicht zu erwerben. Vielleicht bin ich ja arrogant und doof, aber bei so viel ignoranter Dummheit (aus meiner Sicht) ging mir die Hutschnur hoch. Meine Argumente haben sie nur genervt (sie) bzw. nicht interessiert (ihn). In Deutschland würden z.B. Diebe ins Gefängnis kommen, in den USA aus Kostengründen rein und gleich wieder raus. Deshalb bräuchten wir keine Waffen. WTF?!
Beim Thema Abtreibung waren wir uns erstaunlicherweise einig.
Tag 40
Das B&B Chapel of Barras bietet ein kontinentales und wahlweise ein schottisches Frühstück an, das auch das Nationalgericht Haggis beinhaltet. Nun bin ich ja grundsätzlich an allen neuen Gerichten interessiert, aber das fällt für mich in die Rubrik Affenhirn. Hier die Zutatenliste für Haggis:
Schafsmagen, -leber, -herz, -hirn, Hafermehl, Nierenfett, Zwiebeln, Cayenne, Muskat, SP.
Der Internetausfall betraf auch das Zahlungsgerät, ich musste also 20Km zu einem ATM fahren, um ausreichend Cash zu holen. Dafür habe ich 5 £ erlassen bekommen, Brownies und eine kleine selbstgemachte Himbeermarmelade mit auf den Weg bekommen. Hmm.
Mein Weg führte am Crawton Wasserfall entlang:
Und für den Eintritt zum Dunnottar Castle berappte ich 9.50 £ Eintritt , die dafür auch in Ordnung waren.
Ich fuhr über Stonehaven, in dessen Hafen Kinden mit Enten (echten) badeten, an Aberdeen vorbei auf dem Coastal Trail nach Norden. In Fraserburgh gab es für mich seit langem mal wieder Fish & Chips, mit reichlich Malzessig habe ich sie im Hafen gefuttert.
Erstmals wählte ich eine Übernachtung fast ausschließlich nach dem Kriterium Internetqualität aus und landete in Lossiemouth im Hotel Stotfield. Es geht leicht schöner, das versprochene Highspeed-Internet gibt es nicht. Nachdem ich mich mal aufgeregt habe und der IT-Typ vom Hotel anfing, der Fehler, dass ihr Internetzugang abstürzt, müsse bei mir liegen, habe ich seinen geschützten Zugang bekommen und siehe da, nach drei Stunden Krampf ging es. Suuuuper Dienstleister, der seinen Kunden erzählt, sie seien Schuld, wenn sein Kram nicht funzt. Groarrrrrrrr!
So, nun ist es 22:30, gegen 17:00 bin ich angekommen und habe noch nichts gesehen, außer dem Hotel, Handy, Netbook. Abendessen fiel aus. Die schlechteste Margherita aller Zeiten bleibt stehen, sie ist zu schlecht.

Morgen sehen wir mal nach, wie es hier so aussieht, ja? Gääääähn.
Die Küstenlinie finde ich bislang spektakulär, das Landesinnere sehr harmlos.
Thank you so much for the beautiful sentences and is pleasure to meet you Charlotte and the foto's are wonderful ❤️. Too bad we take a picture together, but I am really thankful for to meet you and have beautiful vacation so on x Anisha 🧚🏾♀️✨
Vielen Dank - aber mehr Food Porn, bitte! 😁
Wunderschön liebe Tina 😍👌😀😀😀 liebe Grüße zu dir 🫶😘